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Berberpferde auf steinigem Untergrund, Fohlen Araber-Berber

Pferdegerechte Haltung: der Paddock Trail

Zum Thema “pferdegerechte Haltung” gibt es bereits unheimlich viel Literatur und Wissensquellen im Internet. Trotzdem bin ich immer wieder erstaunt, dass scheinbar der Großteil der Pferde immer noch sehr “konservativ” gehalten wird, nämlich in Boxenhaltung (wenngleich sich im letzten Jahrzehnt zumindest ein mehr oder weniger regelmäßiger Koppelgang etabliert hat).

Vielen Leuten kommt es auch einfach gar nicht in den Sinn, dass Boxenhaltung für Pferde nicht ideal sein könnte – sie denken einfach nicht darüber nach und ein durschnittlicher Reitstall (insbes. in der englischen Reitweise) ist nunmal mit Boxen organisiert.

Wobei ich an dieser Stelle natürlich auch erwähnen möchte, dass Boxenstall nicht gleich Boxenstall ist. Es gibt viele Abstufungen und Mischformen in der Haltung und zu guter Letzt gibt es auch einzelne Pferde-Individuen und -Situationen, wo eine (Paddock-)Box zumindest temporär eine gute Wahl ist.

Um das adäquat beurteilen zu können, möchte ich ein bisschen weiter ausholen: was ist ein Pferd und was heißt daher “pferdegerechte Haltung”?

Was macht ein Pferd aus?

Wenn ich im Folgenden von “Pferden” rede, meine ich im eigentlichen “Hauspferde”; Wildpferde unterscheiden sich nämlich in manchen Eigenheiten. Auch Esel sind diesbzgl. differenziert zu betrachten (wenngleich ein überwiegender Teil der Eigenschaften auf alle Equiden gleichermaßen zutrifft).

Gemeinhin bekannt ist, dass das Pferd ein:

  • Fluchttier
  • Steppentier
  • Herdentier
  • Dauerfresser

ist.

Weiters ist für die Haltung relevant, dass Pferde in beinahe allen Gebieten der Welt vertreten sind, die von Natur aus über weite Flächen verfügen. Ausnahmen bilden lediglich Regionen gänzlich ohne Vegetation, z.B. arktische Gebiete und Wüsten. Daraus lässt sich schließen, dass Pferde sehr anpassungsfähig sind – vorausgesetzt, man gibt ihnen die Möglichkeit dazu. Das heißt: man schmeißt sie nicht von heute auf morgen einfach in eine komplett konträre Umwelt.

Was heißt “pferdegerechte Haltung”?

Wenn wir die zuvor genannten Kriterien nun hinsichtlich Haltung begutachten, können wir folgende Regeln aufstellen um eine “pferdegerechte” Haltung zu ermöglichen:

  Pferde müssen sich den ganzen Tag (und Nacht) in ruhigem Tempo bewegen können.

Permanente Bewegungsmöglichkeit bzw. häufige tatsächliche Bewegung ist für Pferde nicht nur mental überaus wichtig, sondern auch physisch. Der gesamte Körperbau des Pferdes – von Kopf bis Huf – ist nicht nur auf Bewegung, sondern auch auf unterschiedliche Umweltreize ausgelegt. Muskulatur, Fell, Hufe, Gelenke, Atemwege, Sinnesorgane uvm. benötigen die natürlichen Reize der freien Umwelt um optimal zu funktionieren. Und sie benötigten die ständige Bewegung, um diese funktionstüchtig zu erhalten; die Durchblutung bis in die Zehenspitzen, die Durchlüftung der Lunge und die ständige (aber mäßige) Beanspruchung von Muskeln und Sehnen sind nur ein paar Beispiele dafür.

Hinzu kommt, dass Steppentiere den “freien Blick” gewöhnt sind. Ihre Sinne sind auf möglichst große und weitläufige Rundum-Wahrnehmung spezialisiert und nicht auf enge Gegebenheiten ausgerichtet. Man kann häufig Pferde beobachten, die einfach stehen und in die Gegend schauen; dies wird leider häufig fehlinterpretiert und so ausgelegt, dass Pferde eine zur Verfügung stehende Fläche gar nicht nutzen und sich ja gar nicht so viel bewegen müssten! Für Pferde ist jedoch weniger die tatsächliche Fläche ausschlaggebend, als die damit verbundenen Möglichkeiten. Bereits die Möglichkeit zur Bewegung zu haben, schafft Entspannung im Pferd.

Es ist daher deutlich weniger relevant, ob ein Pferd ein “Dach über dem Kopf” hat, als ob es ausreichende freie Bewegungsmöglichkeiten hat.

  Pferde müssen die Möglichkeit haben, auf bedrohliche Situationen mit Bewegung reagieren zu können.

Beengte Haltungsbedingungen können daher sehr schnell zu Stress führen, auch wenn keine aktive Bedrohung vorherrscht. Bereits die fehlende Aussicht zu Fluchtmöglichkeiten können bei Pferden zu einem dauerhaften Stresspegel führen.

  Pferde müssen direkten Kontakt zu anderen Pferden haben können.

Dies ist insbesondere wichtig, um soziale Interaktionen (Spielen, Fellpflege, Schutzverhalten der Herde etc.) ausleben zu können und um soziales Verhalten zu erlernen.

Dabei muss aber auch berücksichtigt werden, dass sich Pferde in der Natur aus dem Weg gehen können. Ist dies in begrenzten Haltungsarealen nicht möglich, so können andere Pferde im Gegenteil sogar mehr schaden als nutzen! Eine Herde kann nur so gut funktionieren wie es die anderen Umstände (Fläche, Rückzugsmöglichkeiten, Zugang zu Futter/Wasser etc.) zulassen.

  Pferde müssen ständig kleine Mengen an Futter aufnehmen können.

Die natürliche Fresshaltung zeichnet sich dabei überwiegend dadurch aus, dass die Pferde im Ausfallschritt stehen und den Kopf gesenkt haben. Auf diese Körperhaltung während dem Fressen ist daher ihre gesamte Physiologie ausgelegt.

In natürlichem Umfeld fressen Pferde zwar den ganzen Tag lang (und auch in der Nacht), aber das Futter ist überwiegend karg (nährstoffarm) und sehr rohfaserreich. Der gesamte equine Futterapparat (Zähne, Magen, Darm etc.) ist daher für diese Frequenz und Art der Nahrungsaufnahme konzipiert.

  Pferde müssen Zugang zu Wasser haben.

Dadurch, dass Pferde Steppentiere sind, ist ihr Organismus nicht für ständige Verfügbarkeit von Wasser ausgelegt. Es ist daher aber weniger wichtig, ob Pferde einen permanenten Zugang zu Wasser haben – zumindest, so lange sie keine zusätzliche Arbeit verrichten müssen und sie nicht (unnatürlich) große Mengen an Futter auf einmal zu sich nehmen. Für den pferdigen Organismus ist daher weniger die ständige Verfügbarkeit, als die grundsätzliche Qualität und ausreichende Menge des Wassers (über den Tag verteilt) entscheidend.

Als Menschen können wir viele dieser Prinzipien nicht nachvollziehen. Das ist auch nur allzu verständlich, denn als Menschen sind wir Raub-, Höhlen- und Rudeltiere, welche daher gänzlich andere Umstände bevorzugen und daher als “angenehm” empfinden als Pferde. Als nur eines von vielen Beispielen kann hier die “thermoneutrale Zone” (TNZ) genannt werden. Dies ist jene Temperaturzone, in der die eigene Körpertemperatur problemlos behalten werden kann. Bei Menschen ist diese sehr eng gesteckt (nämlich 25°C bis 30°C), wohingegen diese bei Pferden einen Spielraum von 20°C Schwankung verträgt (die TNZ von Pferden liegt zwischen 5°C und 25°C). Wenn uns kalt ist, heißt das also noch lange nicht dass unsere Pferde ebenfalls frieren.

Die unterschiedlichen Bedürfnisse von uns Menschen und unseren Pferden müssen wir uns immer vor Augen halten, wenn wir die Haltung (bzw. den generellen Umgang mit Pferden) beurteilen. Wir müssen anfangen, mit den Augen der Pferde zu sehen (welche übrigens ebenfalls gänzlich anders funktionieren als unsere eigenen Augen; nicht nur hinsichtlich Blickwinkel und Fokus, sondern auch hinsichtlich Farbwahrnehmung und Adaptionsfähigkeit).

Haltungsmöglichkeiten

Wenn wir uns die zuvor genannten Kriterien ansehen, so werden wir schnell feststellen dass manche davon einfacher zu erfüllen sind als andere; wir werden ebenso schnell feststellen, warum Boxenhaltung in vielerlei Hinsicht nicht nur suboptimal, sondern sogar tierquälerisch ist. Daran ändert auch ein stundenweise Auslauf nichts, sondern lindert maximal nur die dadurch ausgelösten psychischen und physischen Probleme.

Und diese Probleme können mannigfaltig auftreten, wenn eine pferdegerechte Haltung in überwiegenden Teilen nicht möglich ist; zu “nicht-pferdegerechten Haltungen” sind hierbei auch jene zu zählen, die zwar “gut gemeint”, aber in der Realität schlecht umgesetzt sind. Dies betrifft typischerweise folgende Aspekte:

  • Hygiene (sowohl im Stall als auch auf der Koppel/Weide)
  • Futter (zu hohes Nährstoffangebot/Überfütterung oder mangelnde Qualität)
  • Herdenzusammensetzung (zu viele Pferde ohne strukturierte Ausweichmöglichkeiten, dauernder Stresspegel für rangniedrige oder physisch benachteiligte Pferde, unausgewogene Herdenzusammenstellung hinsichtlich unterschiedlicher Ansprüche)

So lange wir Pferden keine natürliche Umgebung bieten können (d.h. so lange sie nicht in freien Herden in ursprünglichen Steppen umherstreifen können), ist es daher wichtig, die Bedürfnisse jedes einzelnen Pferdes individuell zu beurteilen. Denn es ist ganz unterschiedlich, welche Kompromisse für dieses Pferd am ehesten eingegangen werden können.

Mittlerweile gibt es glücklicherweise bereits eine Vielzahl an Alternativen zur “herkömmlichen” Boxenhaltung. Den meisten Offenställen ist heutzutage jedoch gemein, dass sie den Pferden zwar viele Freiheiten schenken (Bewegungsmöglichkeiten, Sozialkontakte, Wettereindrücke uvm.), die Pferde jedoch sehr wenige bis gar keine Anreize haben diese auch tatsächlich zu nützen. Das häufigste Bild in klassischen Offenställen mit dauerhaftem Zugang zu Raufutter ist das “Parken” an den Raufutterstationen. Damit geht insbesondere der Vorteil der permanenten Bewegung (d.h. dem natürlichen Umherstreifen nach Nahrung) verloren. Ein System, das dem entgegenwirkt, möchte ich im Folgenden vorstellen: den Paddock Trail.

Paddock Trail

Ein “relativ” neues Konzept ist der Paddock Trail; das Prinzip wurde von Jaime Jackson aus den USA erstellt, welcher Wildpferde beobachtete um dafür Rückschlüsse für Barhufbearbeitung zu ziehen.

Brumbies in Australien

Das Prinzip wurde unter dem Namen “Paddock Paradise” bekannt (benannt nach seinem gleichnamigen Buch) und ist sehr einfach. Es geht davon aus, dass sich Pferde in freier Wildbahn (wo sie eigentlich unbegrenzten Platz hätten) stets auf Pfaden bewegen. D.h. sie legen sich die optimalen Wanderwege zwischen ihren “Zielen” zurecht. Ziele können z.B. Futterplätze, Wasserstellen, Ruheorte etc. sein. Von diesen weichen sie nur dann ab, wenn sich Umstände ändern (z.B. ein Wasserloch austrocknen, Waldbrände ausbrechen udgl.). Dadurch bleiben die Pferde ständig in Bewegung und verhalten sich entsprechend ihrer natürlichen Physis.

Um dieses natürliche Verhalten daher auch in begrenzter Haltung zu ermöglichen, sei es daher ausreichend die Natur möglichst gut zu imitieren. D.h. den Pferden sollten möglichst viele verschiedene “Zielpunkte” angeboten werden, welche sie über Pfade erreichen können. Es ist daher beinahe unerheblich, wie groß die zur Verfügung stehende Fläche ist; wichtig ist nur, dass sie so angelegt wird, dass Wege entstehen und die Pferde genügend (natürliche) Anreize haben diese zu nützen.
Solche Anreize werden in erster Linie durch Futter gesetzt, aber auch durch unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten (z.B. weichere Liegebereiche oder sandige Wälzflächen) und Struktur-Anreize (z.B. Schattenplätze).

Die Futterstellen können dabei nicht nur (aber primär) Raufutter enthalten, sondern beispielsweise auch zusätzliche Nährstoffe (eigene Kräuter-Bereiche, versteckte Salzlecksteine, Äste zum Knabbern etc.).

Positive Auswirkungen auf die Hufgesundheit

Besonderes Augenmerk wird bei den Konzept des Paddock Trails auf die Hufgesundheit gelegt; dies wird nicht nur darüber erreicht, dass die Pferde zu möglichst viel (d.h. häufiger, nicht zwangsläufig intensiver!) Bewegung animiert werden, sondern dass sie diese auch über möglichst divergente Bodenverhältnisse absolvieren sollen.

Denn damit sich ein Pferd problemlos barhuf über einen bestimmten Untergrund (z.B. grobe Steine) bewegen kann, muss man ihm die Möglichkeit geben dafür zu “trainieren”. Und das funktioniert nur, wenn das Pferd möglichst häufig und dafür ungezwungen (sprich: in der Gangart und Umsichtigkeit wie es das selbst gerade am besten befindet) über eben diesen Untergrund bewegen kann.

Der Paddock Trail sollte daher jene Bodenbeschaffenheiten anbieten, die das Pferd auch mit seinem Reiter bewältigen können sollte; das können natürliche Böden (z.B. Erde, Sand, Gestein) genauso sein wie künstliche Böden (z.B. Beton, Pflastersteine etc.).

Positive Auswirkungen auf die Propriozeption

Die unterschiedlichen Bodenverhältnisse schaffen zudem noch einen weiteren äußerst positiven “Nebeneffekt”: sie fördern die Eigenwahrnehmung der Pferde. Die Tiere lernen so quasi im Alltag, wie sie ihren Körper möglichst effizient in unterschiedlichem Terrain einsetzen müssen und trainieren damit permanent den ganzen Körper.

Dieser Effekt kann noch deutlich verstärkt werden, je abwechslungsreicher man die Pfade des gesamten Paddock Trails gestaltet; dazu gehören Höhenunterschiede (Steigungen, Hänge, Hügeln, Treppen) ebenso wie Hindernisse (Baumstämme, Hecken, Wasserfurten).

Je mehr Eindrücke ein Pferd das ganze Jahr über auf solch einem Trail sammeln kann, desto stärker wird es sowohl hinsichtlich Psyche als auch Physis. So entstehen selbstsichere, ausgeglichene und gesunde Pferde!

Risikowarnung

Wichtig ist bei der Anlage eines solchen Trails natürlich, auf Verletzungssicherheit zu achten; grundsätzlich sollte kein gesundes Pferd ein Problem mit solch einem Trail haben, so lange es sich in Ruhe und ohne Zwang durch diesen bewegen kann. Falls hingegen der Platz beengt ist, sich zu viele oder unsoziale Pferde in der Herde befinden oder ganz einfach die Witterung in der jeweiligen Klimazone Gefahren mit sich bringen kann (z.B. Glatteis), so entstehen ganz schnell gefährliche Situationen die zu schlimmen Verletzungen führen können!

Ähnliches gilt für kranke oder verletzte sowie sehr unsichere Tiere: auf diese muss besondere Rücksicht genommen werden, wenn diese nicht (wie es in der Natur der Fall wäre) zugrunde gehen sollen. Es muss daher trotzdem Notfall-Bereiche geben, wo solche Pferde (zumindest temporär) untergebracht werden können.

Praktische Umsetzung eines Trails

Wie wir aus eigener Erfahrung festgestellt haben, ist es in der Praxis jedoch gar nicht so einfach einen “perfekten” Trail zu erschaffen. Oftmals lässt sich beispielsweise der Boden nicht ganzjahrestauglich befestigen oder es gibt behördliche Hinderungen. Nichts desto trotz lässt sich der Gedanke des “Paddock Paradise” in beinahe jedem Offenstall integrieren. Oftmals ist es schon ausreichend, die verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten der Pferde zu dezentralisieren, sprich nicht alle Möglichkeiten an einem einzigen Ort (meistens im Stallgebäude) anzubieten, sondern diese zu verteilen.

An dieser Stelle möchte ich auch noch erwähnen, dass es mittlerweile einige Ställe gibt, die sich zwar “Paddock Trail” nennen, das Prinzip aber nur ungenügend umgesetzt haben. Ein Klassiker hierbei ist, dass es zwar einen Trail (d.h. befestigen Laufweg) gibt, dieser aber keine zusätzlichen Bewegungsanreize bietet (z.B. weil es nur einen Platz mit Raufutter gibt, an dem sich alle Pferde tummeln). Diese Ställe können natürlich trotzdem eine gute Option für Pferde sein, aber sie stellen keinen “echten” Trail dar.

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