Pferde: große, mächtige, und doch leichtfüßige Tiere. Wir sind fasziniert von ihrer Grazie, von ihrem sanften Wesen trotz ihrer gewaltigen Körper, von ihrer Leichtfüßigkeit mit der sie scheinbar fliegen können. Und das Beste daran: wir können daran teilhaben. Wir können auf ihren Rücken mitfliegen, spüren diese gewaltige Kraft, die sich dabei entfaltet.
Pferde sind ein Symbol für Freiheit, und zwar seit Kindesbeinen an: der Cowboy in der endlosen Prärie, der das Pferd als einzigen Weggefährten hat. Die Prinzessin auf ihrem weißen Einhorn oder die auf die Rettung durch den Prinzen am hohen Ross wartet. Der Ritter auf seinem gewaltigen Schlachtross. Das Mädchen mit dem schwarzen Hengst. Pippi Langstrumpf und ihr kleiner Onkel.
Mit all diesen Metaphern zeigt sich sehr schön, was sich wohl jeder Pferdemensch in seinem Innersten wünscht: eine harmonische Beziehung zu diesen mächtigen Wesen, wo es keinen Zwang oder Druck braucht – keine Zügel und keine Peitsche –, sondern lediglich Gedanken und Vorstellungen, um gemeinsam die Welt zu erobern.
Sein und Schein: der Trug der Wirklichkeit
Doch bereits als junger Mensch lernt man, dass die Realität anders aussieht: dass diese Tiere ihre Stärke gegen uns einsetzen (können) und dominiert werden müssen. Dass Freundschaft mit Pferden nur auf Basis von Hierarchie funktioniert: der Mensch muss führen, das Pferd muss folgen. Sonst könnte das Pferd ja einfach machen was es will – und das wäre nie und nimmer das, was der Mensch wollte. Das Pferd muss “kultiviert” werden: Wildheit muss ersetzt werden durch Gelehrigkeit. Gelehrigkeit wird interpretiert als: der Mensch äußert einen Wunsch und das Pferd muss diesen erfüllen. Wenn es diesem “Wunsch” nicht nachkommt, muss es eben die Konsequenzen tragen. Doch was sind Wünsche, von denen wir uns erwarten dass sie bedingungslos und ohne Hinterfragen erfüllt werden? Die Antwort ist einfach: Befehle.
Auch wenn in vielen Reit- und Arbeitsweisen in der Pferdewelt davon die Rede ist, dass die Pferde nach bestimmten Aktionen oder Lektionen gefragt werden, so müssen wir doch der Realität ins Auge sehen: wir erwarten uns als Antwort stets nur ein “Ja”. Was machen wir mit einem “Nein”? Wir akzeptieren es nicht; im besten Fall fragen wir weiter (und nerven unseren sogenannten “Partner” Pferd), im schlechtesten Fall machen wir ihm mittels Druck klar, dass ein “Nein” unerwünscht ist.
Das Pferd kann daher zwar “Nein” sagen, aber es lernt sehr rasch, dass ein “Nein” negative Konsequenzen für seine Lebensqualität hat. Und nachdem Pferde (wie alle Lebewesen) nach einem möglichst angenehmen Leben streben, lernen sie sehr bald, stattdessen lieber “Ja” zu sagen. Der Mensch ist damit sehr schnell zufrieden, denn er muss immer weniger Druck androhen, damit sein Pferd “Ja” sagt; denn das Pferd kennt das Prinzip ja schon. Das nennt sich dann in den meisten Reitlehren: feine Kommunikation. Der Reiter muss nur noch einen Muskel anspannen oder mit der Zunge schnalzen und das Pferd wird seinem Wunsch entsprechen.
Um so ein Verhalten zu lernen, muss ein Pferd nie tatsächlich Prügel bezogen haben. Es ist ausreichend, dass es lernt dass Missachtung von menschlichen “Wünschen” zu steigerndem Druck führt. Dieser Druck kann physisch sein (z.B. Klopfen mit dem Schenkel, Touchieren mit der Gerte, Parade mit dem Zügel) oder auch psychisch: beispielsweise Steigern von Anforderungen, denen sich das Pferd nicht gewachsen fühlt oder auch Entzug/Vorenthalt von Futter (Leckerlis). Oftmals sind wir uns dieses Drucks gar nicht bewusst; manchmal nutzen wir ihn aber auch sehr wohl mit Absicht aus (z.B. “Join Up” im Roundpen, wo das Pferd keinen anderen Ausweg hat als den Menschen zu akzeptieren).
Aber warum ist das eigentlich so? Geht es nicht auch anders? Wo sind die Pferde-Träume und Traum-Pferde aus unserer Kindheit hin?
Absicht und Einsicht
Die wenigsten Pferdemenschen fügen ihren Pferden absichtlich Böses zu. Oftmals tun wir das, was wir machen, einfach nur aus Gewohnheit. Wir haben gelernt, dass ein Pferd mit Halfter geführt und angebunden still stehen muss. Ein Pferd muss die Gangart gehen, die wir wollen, denn sonst könnte es unberechenbar durchgehen und uns in Gefahr bringen. Es mangelt uns also oftmals an Vertrauen. Oftmals auch berechtigterweise: warum sollte sich ein Lebewesen, das wir ständig dominieren und dem wir permanent vorgeben was es zu tun hat, nicht bei erstbester Gelegenheit aus dem Staub machen, wenn wir ein Stückchen Kontrolle aufgeben?
Wenn wir Kontrolle aufgeben und dem Pferd mehr Freiraum überlassen, kann das Ergebnis folgendermaßen aussehen:
Das Pferd hat bereits gelernt, dass jegliche Freiheit eine Illusion ist; wenn es den Willen des Menschen nicht erfüllt (sondern vielleicht stattdessen die eigenen equinen Bedürfnisse stillt), so wird der Mensch dem Pferd früher oder später die Rechnung für sein selbstständiges Handeln präsentieren und es bestrafen (und um es nochmal zu betonen: Strafe ist nicht immer gleichzusetzen mit Gertenhieben – Strafe kann sich auf vielen, teilweise sehr subtilen Ebenen abspielen; das ändert aber für das Pferd nur wenig). Solch ein Pferd nennt man umgangssprachlich “gehorsam”; oder, um es nicht so negativ klingen zu lassen: gut erzogen.
Wenn das Pferd seinen eigenen Willen jedoch (noch) nicht ad acta gelegt hat, so kann das Ergebnis auch ganz anders aussehen: es nützt seine (vermeintliche) Freiheit in vollen Zügen und tut was es will. Das inkludiert dann meist nicht mehr den Menschen, denn die Ziele von Mensch und Pferd sind einfach zu unterschiedlich. Klassische Szenarien hierzu: das Pferd bleibt stehen oder geht durch, reißt sich los, rennt davon, geht fressen. Diese Pferde werden dann meist als “stur”, “spinnert”, “blöd”, “unberechenbar” oder “faul” eingestuft.
Ist das alles? Gibt es keine andere Möglichkeit?
Doch, die gibt es! Es kann nämlich auch so aussehen: das Pferd bleibt bei uns, weil es das will. Und zwar nicht, weil es andere Konsequenzen vermeiden will, sondern weil es das Zusammensein mit uns positiv und vorteilhaft findet. Das kann sogar so weit gehen, dass Pferde uns dazu auffordern bei ihnen zu bleiben. Und zwar ganz vehement. Dass sie uns nicht eher gehen lassen, bis sie selbst zufrieden sind. Dass sie freiwillig und völlig ohne unsere Aufforderung (geschweige denn Druck!) federnde Gänge entwickeln und selbst anstrengendste Aufgaben wie Galopppirouetten oder Levaden entwickeln. Weil sie sich dabei toll fühlen.
Das klingt unrealistisch? Das klingt nach fabelhaftem Märchen? Nach jenen Geschichten, die man als Kind gehört hat und so gerne geglaubt hätte?
Nun, das tut es. Aber es ist möglich. Sogar sehr einfach, denn Pferde sind dankenswerterweise harmoniebedürftige Geschöpfe. Es liegt ihnen nichts an Kämpfen und an Machtspielchen.
Genau das wird ihnen in menschlicher Obhut meistens zum Verhängnis, weil wir Menschen im Gegensatz zu Pferden sehr wohl zu Machtmissbrauch tendieren. Aber wenn man sich dessen bewusst wird, dann ist es sogar sehr einfach, eine solche Beziehung zu einem Pferd zu haben. Eine, die tatsächlich auf Partnerschaft und Vertrauen aufbaut, von beiden Seiten. Partner eben.
Was man dazu tun muss? Man muss sich trauen. Nämlich das Pferd als gleichberechtigten Partner anzunehmen, mit Wünschen und Bedürfnissen. Und zum Partner-Sein gehört nun mal, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse manchmal zurückzustecken, damit der Partner glücklich ist. Denn dann sind wir es auch.
Ein toller Text! Ich habe selbst einige Jahre gebraucht, um zu verstehen – das wir die Tiere in ihrem ganzen Sein respektieren und auf Augenhöhe behandeln müssen, wenn wir wollen, dass sie uns freiwillig und gerne folgen.
Wenn sie etwas nicht tun wollen wie wir es wünschen, gibt es einen Grund. Diesen heraus zu finden und zu lösen, ist allein unsere Aufgabe – denn wir sind doch die intelligenteren Wesen. (-;
Pferde sind ja bekanntlich Fluchttiere. Wenn man es schafft, ihr Vertrauen zu gewinnen und die gemeinsame Zeit auch für sie angenehm zu gestalten – dann fühlen sie sich mit uns sicher und tun gerne, was wir uns wünschen.
Toller Artikel ☺️
Wow! Der Artikel spricht mir aus der Seele. Toll geschrieben!
Danke, Kristina! Ich freue mich, dass es immer mehr Pferdemenschen gibt, die ähnlich denken.