Letztens wurde in einer Facebook-Gruppe die Frage gestellt, wie man ein Pferd an Fliegenspray gewöhnt. In kürzester Zeit hatte sich eine breite Palette an Antworten gefunden und ich muss sagen, ich war sprachlos: der Großteil der Empfehlungen war, das Pferd anzubinden und so lange zu besprühen, bis es still stehen bleibt 😞
Vereinzelt wurde auch geraten, statt dem Spray ein Gel zu nehmen oder den Spray mit einem Schwamm aufzutragen und nur 2 (von 27!) Antworten empfahlen, das Problem mit Leckerlis und/oder Clicker zu lösen.
So ist es also um die Pferdewelt bestellt: selbst bei so banalen Herausforderungen wie der Gewöhnung an Sprayflaschen ist der Großteil der Pferdemenschen noch immer der Meinung, dass sich das Pferd nur „blöd aufführt“, „dich verarscht“ und „nur so tut als ob es Angst hätte“. Ich war wirklich platt.
Aber es funktioniert!
Die meisten Empfehlungen wurden aus persönlicher Erfahrung abgegeben. Von Leute, die selbst dieses Problem hatten und es dann gelöst haben. Indem sie ihr Pferd angebunden und so lange mit dem Spray konfrontiert haben, bis das Pferd schließlich still stehen geblieben ist. Dazwischen hat es zwar vielleicht ordentlich herum gehampelt, hat am Halfter gezerrt, gebissen, getreten oder versucht den Menschen an der Wand zu zerquetschen 🤨 aber im Endeffekt ist es still gestanden. Das heißt, es hat funktioniert! Was ist also so schlimm daran?
„Schlimm“ ist immer relativ. Was ich schlimm finde, musst nicht automatisch auch du schlimm finden (und umgekehrt). Und das ist in Ordnung! Aber man sollte sich einfach bewusst sein, was mit dem beschriebenen Prozedere einhergeht ☝
Warum bleibt das Pferd am Ende stehen? Die meisten Menschen denken, dass das Pferd stehen bleibt, weil es gelernt hat dass der Spray nichts Böses ist. Das ist in den allermeisten Fällen aber falsch. Viel häufiger ist es nämlich so, dass das Pferd zuerst versucht sich massiv zu wehren, aber merkt, dass es nichts nutzt. Es kann der Situation nicht entfliehen. Wenn ein Pferd nicht fliehen kann, dann versucht es sich zu wehren. Aber wenn das auch nichts nutzt, dann gibt es auf. Es sieht also keine andere Möglichkeit um dem beängstigenden Spray zu entgehen, als stehen zu bleiben. Das heißt aber nicht, dass es den Spray als ungefährlich eingestuft hat! Ganz im Gegenteil: in der Erinnerung hat sich manifestiert, dass die Situation ganz furchtbar war. Das Pferd hat abgespeichert, dass der Fliegenspray mit einer ganzen Reihe an äußerst negativen Emotionen behaftet ist.
Ein Pferd, das auf diese Art und Weise desensibilisiert wurde, wird also beim Einsprühen nie freiwillig stehen bleiben, wenn es eine andere Wahl hat. Es wird nur dann stehen bleiben, wenn es gelernt hat dass Stehenbleiben seine einzige Wahl ist 😮
Warum Spray nicht einfach vermeiden?
Die andere häufige Empfehlung zum Dilemma des Fliegensprays war, einfach eine andere Art des Fliegenschutzes zu verwenden. Also ein Gel zum Auftragen oder den Spray auf einen Schwamm sprühen und das Pferd damit zu behandeln.
Und ich finde diese Herangehensweise gar nicht übel. Bevor ich mein Pferd zu etwas zwingen muss, versuche ich es auf einem anderen Weg zu lösen. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass jedes Pferd an Sprayflaschen gewöhnt werden sollte. Denn auch wenn es zur Insektenabwehr andere Alternativen gibt, so kann es auch sein, dass ich vielleicht einmal einen Spray aus medizinischen Gründen einsetzen muss. Blauspray oder Silberspray beispielsweise. Und gerade dann, wenn dein Pferd vielleicht aufgrund einer Verletzung Schmerzen hat, sollte es keine Angst mehr vor Sprays haben.
Vermeidung ist daher meiner Meinung nach keine schlechte Lösung. Aber es gibt eine noch bessere: positive Gewöhnung! Das heißt, Desensibilisierung mit positiver Verstärkung. Wie das genau geht, erkläre ich dir jetzt 😎
Fliegenspray mit positiver Verstärkung üben
Positive Verstärkung heißt, dass ein Verhalten belohnt (verstärkt) wird, indem du deinem Pferd etwas gibst (meist ein Leckerli 🥕). Wenn du es genauer wissen willst, dann kannst du hier den detaillierteren Blog-Artikel zu operanter Konditionierung lesen.
Das heißt im konkreten Fall für den Fliegenspray (oder Mähnenspray oder Blauspray): du belohnst dein Pferd, wenn es beim Einsprühen ruhig bleibt.
Wichtig dabei: wenn du möchtest, dass dein Pferd beim Einsprühen freiwillig stehen bleibt, dann muss es auch die Wahl haben das aus freien Stücken zu tun! Das heißt, du darfst deinem Pferdchen nicht verbieten weg zu gehen (oder es gar dafür bestrafen!).
Das ruhige Stehen ist dabei das Endziel – den Weg dort hin solltest du in viele viele kleine Etappen aufteilen. Wie viele „Zwischenziele“ du brauchst, hängt ganz von deinem Pferd ab.
Daher ist der erste Schritt: analysieren, wo ihr gerade steht.
1. Analyse
Du solltest zunächst in einer freien Umgebung beginnen (z.B. am Paddock oder im Roundpen, idealerweise auch ohne Halfter), damit sich dein Pferd entfernen kann, falls es ihm zu viel wird. Das ist wichtig, denn dein Pferdchen soll sich ja freiwillig anschließen und daher nicht dazu gezwungen fühlen.
Dann beginnst du einfach, indem du deinem Pferd die Sprayflasche zeigst. Jetzt musst du ausloten, auf welche Distanz der Anblick des Sprays für dein Pferd noch OK ist. Das heißt: wie groß muss der Abstand zwischen Flasche/Dose und deinem Pferd sein, damit es noch entspannt stehen bleibt 🤔? Das ist die Distanz, bei der du beginnst.
2. Distanz verringern
Als ersten Schritt platzierst du den Spray gut sichtbar für dein Pferd in jenem Abstand, bei dem sich dein Pferd noch wohl fühlt. Und nun beginnst du, dein Pferd zu belohnen, sobald es die Flasche anschaut oder sich gar in diese Richtung bewegt.
Wichtig: erwarte hier am Anfang nicht zu viel! Belohne wirklich jede klitzekleine Regung in Richtung der Flasche, und wenn es am Anfang nur ein Blick in diese Richtung ist.
Das steigerst du so lange, bis sich dein Pferd freiwillig und interessiert der Flasche nähert. Schließlich kannst du beginnen die Flasche in die Hand zu nehmen und dich damit bewegen. Achte darauf, dass dein Pferd stets den Spray gut sehen kann! D.h. verstecke ihn nicht hinter deinem Rücken o.ä.. Außerdem solltest du darauf achten, dass du dich am Anfang immer von deinem Pferd weg bewegst. Wenn es dabei ruhig bleibt (es darf sich gerne selbst bewegen, aber du solltest den Eindruck haben dass es entspannt ist), dann kannst du dich parallel zu deinem Pferd bewegen.
Wenn das gut klappt, kannst du mit dem Spray in der Hand schließlich ruhige Bewegungen machen, also z.B. langsames Heben und Senken oder Hinhocken und Aufstehen. Die nächste Steigerung ist schließlich, dass du entspannt mit der Flasche in der Hand um dein Pferd herum gehen kannst. Und natürlich fleißig dabei belohnen!
Sobald du merkst dass sich dein Pferd verspannt (oder gar weg geht), dann bist du zu schnell vorangegangen und solltest sofort wieder den Abstand erhöhen. Es ist enorm wichtig, dass dein Pferd freiwillig die Distanz verringert und währenddessen entspannt bleibt.
3. Das Sprühen
Wenn du es geschafft hast dass dein Pferd interessiert aber entspannt stehen bleibt, auch wenn du dich mit dem Spray in der Hand um dein Pferd herum bewegst, dann ist es Zeit für den nächsten Schritt: die Gewöhnung an das Sprühen.
Dazu gehst du zunächst wieder auf größerer Distanz und sprühst einfach mal in die Luft (vom Pferd weg). Mache das Sprühen gut sichtbar und kündige es vorher an (z.B. indem du die Flasche plakativ hochhältst), so dass dein Pferd nicht überrascht wird. Wenn du einen Clicker verwendest, dann clicke noch während des Sprühens (und nicht erst dann, wenn das Sprüh-Geräusch zu Ende ist).
Verringere erst dann die Distanz samt Sprüh-Geräusch, wenn dein Pferd dabei total entspannt bleibt (oder sich selbst nähert). Verändere auch immer wieder die Intensität und die Richtung des Sprühens, bevor du dich näher an dein Pferdchen heran wagst. Und nicht vergessen: belohnen, belohnen, belohnen 🥕!
Wenn das alles gut klappt und du schließlich mit der Flasche neben deinem Pferd sprühen kannst und es trotzdem entspannt stehen bleibt, dann ist es Zeit für den nächsten Schritt.
4. Berührung mit dem Spray
Dein Pferd sollte nun den Spray bereits positiv assoziiert haben. Das heißt, du solltest die Flasche oder Dose in die Hand nehmen, auf dein Pferd zugehen und neben ihm in die Luft sprühen können, ohne dass sich dein Pferd verspannt oder gar einen Schritt zur Seite macht. Und zwar zuverlässig! Falls du noch unsicher bist oder dein Pferdchen doch noch angespannt den Kopf hoch nimmt, dann nimm‘ dir lieber nochmal mehr Zeit und übe die vorherigen Schritte noch besser. Gehe wirklich erst zur nächsten Etappe – zur Berührung – über, wenn du sicher bist dass dein Pferd kein Problem mehr mit dem bisherigen Prozedere hat ☝
Und so fängst du mit der Berührung an: stelle dich neben dein Pferd und sprühe wieder in die Luft. Fange nun an, dein Pferd währenddessen zu berühren (mit der anderen Hand). Deine Berührung sollte sanft sein, aber sicher. Also beispielsweise freundliches Streicheln oder gefühlvolles Kraulen. Dann kannst du langsam dazu übergehen, die Sprüh-Richtung deinem Pferd zuzuwenden. Arbeite dabei immer nach dem gleichen Schema:
- Flasche demonstrativ hochhalten
- „Ziel-Fleck“ am Körper mit der Hand berühren/abstreichen
- genau dort hin sprühen
- belohnen
Wichtig: beginne damit zunächst an Körperstellen, an denen dein Pferd Berührung im Allgemeinen kennt und nicht störend empfindet, z.B. am Rücken oder der Kruppe. Arbeite dich erst langsam zum unteren Bauch, den Beinen, dem Hals und der Brust vor.
Hier habe ich eine kurze Video-Sequenz für dich, wie das schlussendlich aussehen kann. Nelly ist hier auf dem Video zwar noch immer skeptisch, aber sie hat bereits gelernt dass ihr nichts Schlimmes passiert. Früher hingegen war sie bei Fliegespray & Co. richtig panisch.
Sie könnte auch jederzeit weg gehen – das tut sie hier am Anfang auch, da war ich eindeutig zu schnell. Aber mit Ruhe und Vorbereitung ist es für sie dann kein Problem. Ungewohnt, ja, aber nicht mehr schrecklich. In dem Video kannst du auch gut erkennen, wie sich Nelly konzentriert: sie achtet genau auf mich und ich zeige ihr stets deutlich, was als nächstes passiert. So wird sie von nichts überrascht und kann sich entsprechend darauf einstellen.
Fertig 💪! Wenn du so weit gekommen bist, dann hast du deinem Pferd erfolgreich beigebracht, dass so ein Fliegen-/Mähnen-/Silberspray keine schlimme Sache ist. Achte aber trotzdem anfangs immer darauf, wie dein Pferd reagiert. Wenn du ein paar Tage keinen Spray verwendet hast, dann beginne das nächste Mal zuerst wieder auf Distanz und sprühe ein paar Mal in die Luft, bevor du beginnst dein Pferdchen einzusprühen.
Hilfreiche Tipps zur Spray-Gewöhnung
Wenn du diese Reihenfolge einhältst, solltest du eigentlich keine Probleme bei der Gewöhnung an Sprays haben. Es kann zusätzlich hilfreich sein, wenn du dir einen Trainingsplan dazu machst. Eine Vorlage für so einen Trainingsplan kannst du dir beispielsweise hier auf meinem Blog gratis downloaden.
In der Praxis gibt es aber doch immer wieder Fragen oder man übersieht eine Kleinigkeit, weshalb die Gewöhnung vielleicht doch nicht so reibungslos klappt 🤔
Deshalb habe ich dir hier noch ein paar Tipps zu häufigen Fragen zusammengestellt:
Mein Pferd fürchtet sich plötzlich doch wieder vor dem Spray, was tun?
Wenn das Training eigentlich gut läuft und es mitten drinnen plötzlich wieder Rückschritte gibt (z.B. dein Pferd bleibt bereits stehen wenn du in die Luft sprühst aber auf einmal kannst du dich nicht mal mehr nähern), dann warst du wahrscheinlich zu schnell. Das heißt, der vorige Schritt war für dein Pferdchen doch noch nicht so selbstverständlich, wie es vielleicht ausgesehen hat.
Das bedeutet: wieder eine Etappe zurück 🛑
Je nachdem in welcher Phase ihr euch befindet, gehe wieder einen Schritt zurück und stelle sicher, dass dein Pferd wirklich ganz ganz entspannt ist. Versuche, diese Phase in noch kleineren Schritten auszubauen und Varianz einzubauen. Das heißt, wenn sich dein Pferd beim in-die-Luft-Sprühen bereits entspannen kann, aber bei Berührung noch nicht, dann übe das in-die-Luft-Sprühen zunächst an verschiedenen Orten und Tageszeiten. Wechsle häufig deine Position zum Pferd und auch immer wieder den Abstand. Sprühe manchmal in kurzen Stößen und manchmal in laaaangen Aktionen.
Und: nimm‘ den Spray mit an verschiedene (positive) Orte, ohne dass du ihn verwendest. Beispielsweise auf die Weide. Zur Futterraufe. Zum Spaziergang. Dein Pferd sollte wirklich sicher sein, dass die Flasche an sich in Ordnung ist und je öfter du sie positiv verbinden kannst, desto schneller wird es das lernen.
Wichtig dabei: jeden Mini-Schritt belohnen, lieber wieder einen Schritt zurück machen als zu schnell vorwärts und wirklich darauf achten dass dein Pferd entspannt bleibt („unter dem Schwellwert“ arbeiten). Und achte darauf, dass dein Pferdchen selbst die Distanz bestimmen kann; versuche nicht, es dazu zu zwingen ☝ (z.B. indem es keinen Platz zum Ausweichen hat)!
Wann kann ich mein Pferd dabei anbinden?
Ganz einfach: wenn es sich dabei wohl fühlt 😉 also dann, wenn dein Pferd den Spray sieht und sagt: „Jöööö, da kommt der tolle Spray!“ – dann ist der richtige Zeitpunkt. Nicht früher!
Der Grund ist ganz einfach: so lange dein Pferdchen dem Spray gegenüber noch skeptisch ist, wird sich seine Skepsis (oder Abneigung) erhöhen, sobald es angebunden ist. Denn das Pferd möchte als Fluchttier zu allererst sicherstellen, dass es sich in Sicherheit bringen könnte, falls es das als notwendig erachten sollte. Wenn du ihm diese Möglichkeit nimmst (indem du es anhängst), dann verursacht das per se schon mal Stress beim Pferd. Und das wollen wir in dieser Phase unter allen Umständen vermeiden! Das Gewöhnungstraining sollte deinem Pferd Spaß machen und es nicht zusätzlich verunsichern 🙃
Ich muss mit so viel Abstand beginnen, dass ich meinem Pferd kein Leckerli geben kann
Wenn dein Pony wirklich Angst oder gar Panik vor dem Spray hat, dann kann es am Anfang sein dass du mit viiiiel Abstand beginnen musst. Die Distanz zwischen Flasche und Pferd kann daher zu Beginn mehrere Meter betragen.
Falls das bei deinem Pferd so ist, dann hast du mehrere Optionen:
- platziere die Flasche/Dose hinter einer Absperrung; das nennt man „Protected Contact“ und hilft dem Pferd sich sicher zu fühlen
- platziere dich selbst zwischen Spray und Pferd: du musst nicht beim Spray stehen bleiben, sondern du kannst stattdessen bei deinem Pferd bleiben
- verwende Leckerlis, die du werfen kannst: du kannst beispielsweise Karottenstückchen zu deinem Pferd werfen, anstatt sie aus der Hand zu füttern (Achtung, nicht auf Sandboden machen!); das geht natürlich nur, wenn sich dein Pferd nicht vor deiner Wurf-Bewegung fürchtet 😉
Fazit
So, ich hoffe dass ich dir mit diesem Artikel einen Weg zeigen konnte, wie du dein Pferd nachhaltig und auf freiwilliger Basis an den Fliegenspray gewöhnen kannst. Oder an jede andere Art von Sprühflasche oder Sprühdose 🤩 oder auch andere ähnlich furchtsame Gegenstände, z.B. die Schermaschine!
Und das beste daran: je mehr du mit deinem Pferd auf diese Art und Weise an „furchtbaren“ Objekten arbeitest, desto stärker wird eure Bindung werden. Dein Pferdchen wird lernen, dass du es nicht dazu zwingst seine Angst zu ertragen, sondern dass du ihm hilfst seine Angst zu beseitigen. So lernt dein Pferd nachhaltig und positiv 😀
Wie hast du dein Pferd an Mähnenspray & Co. gewöhnt? Waren Sprays für dein Pferd eine Selbstverständlichkeit oder habt ihr heute noch Probleme damit? Ich freue mich über einen Erfahrungsbericht von dir in den Kommentaren 🤓
Ein sehr ausführlicher Beitrag zu einem interessanten Thema- danke. Anstatt einen Fliegenspray für sein Pferd zu kaufen, kann man diesen übrigens relativ einfach selber machen. Als Basis verwende ich je einen Drittel Schwarzer- oder Kamillentee, Bio-Apfelessig und Wasser, werfe zwei zerstampfte Knoblauchzehen rein und runde das ganze mit etwas Teebaumöl oder Lavendelöl ab.