Der Begriff „Medical Training“ steht für eine spezielle Art des Tiertrainings, nämlich dem trainieren von medizinischen Behandlungen. Das Besondere daran: das Training basiert auf positiver Verstärkung und baut auf Freiwilligkeit auf. Das heißt: das Tier lernt, freiwillig an einem eigentlich unangenehmen (teilweise sogar schmerzhaftem) Prozedere teilzunehmen.
Das Konzept wurde ursprünglich in Zoos entwickelt, denn wenn man einen Elefanten impfen, ein Krokodil putzen oder einem Tiger Blut abnehmen möchte, dann kommt man ohne Freiwilligkeit nicht weit. Medical Training gehört dort daher bereits zum Alltag und wird weltweit mit großem Erfolg eingesetzt. Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: durch die freiwillige Anteilnahme des Tieres wird der Stress erheblich reduziert. Das macht den Umgang mit dem Tier nicht nur einfacher, sondern auch sicherer für alle Beteiligten. Außerdem ist ein niedriger Stresslevel oftmals essentiell für eine gesundheitliche Beurteilung: nicht nur Blutbilder, sondern auch Atem- und Herzfrequenz können sonst verfälscht sein. Und ganz nebenbei ist es auch noch eine wundervolle Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere, die zusätzlich die Bindung zu ihren Pflegern verbessert.
Gerade wenn eine tägliche medizinische Versorgung (Hufpflege, Wundversorgung, Medikamentengabe etc.) nötig ist, zahlt sich das Training innerhalb kürzester Zeit enorm aus. Abläufe, die mitunter sonst nur mit Sedierung oder Druckmitteln (Zwangsstand, Nasenbremse etc.) möglich waren, werden so zu einem entspannten Kinderspiel.
Was kann mit Medical Training geübt werden?
Die Übungsliste für Medical Training ist lang, vielleicht sogar unendlich. 😉 Grundsätzlich lässt sich mit Medical Training jedes medizinische Prozedere trainieren. Das fängt bei regulären Vorsorgemaßnahmen an und geht bis zur Simulation von Notfallsituationen. Denn wenn ein Notfall eintritt, ist es bereits zu spät für Training. Alles, was vorab bereits gut geübt wurde, ist in solchen Momenten Gold wert.
Klassische Themen für Medical Training:
- Untersuchung (Abhören mit dem Stethoskop, Abtasten von Körperteilen, Kontrolle von Augen und Zähnen, Fiebermessen)
- Nadeln (Spritzen und Blutabnahme, fallweise auch Infusionen)
- Verabreichung von Medikamenten (Tabletten, Wurmkurpasten, Augentropfen etc.)
- Wundversorgung (säubern von Körperteilen, ggf. Scheren, Verbände anlegen und Mittel auftragen)
Je nach Spezies gibt es noch weitere Themen, die man sinnvollerweise üben sollte. Bei Pferden ist das beispielsweise die Hufpflege – mein Lieblingsthema. 😁
Es kann auch unterschiedliche Themen geben pro Individuum; für manche Tiere ist beispielsweise Wasser kein Problem, andere geraten dabei in Panik. In solchen Fällen sollten diese Problemstellen ebenfalls in das Trainingsprogramm aufgenommen werden.
Medical Training mit Pferden
Du siehst also, Medical Training hat eigentlich nur Vorteile. Man fragt sich daher, warum dieses Thema in den Zoos dieser Welt bereits die Normalität darstellt, bei unseren Haustieren aber noch eher selten angewendet wird. Nun, ich denke der Grund ist dieser: bei unseren domestizierten Tieren ist die Reizschwelle für Aggression über die Zucht deutlich erhöht, das heißt die meisten Haustiere lassen viel mehr über sich ergehen, ohne aggressiv zu werden. Und so lange das Tier keine eindeutige Gegenwehr oder gar gefährliches Verhalten zeigt, sehen viele Menschen keine Notwendigkeit für einen anderen Trainingsansatz. Außerdem ist das Training über positive Verstärkung allgemein noch nicht so weit verbreitet, weshalb sich manche Tierhalter auch gar keine Gedanken darüber machen, ob es vielleicht einen anderen Ansatz zu einem Problem gibt.
Trainiere ein Problem und löse viele
Manchmal höre ich auch das Argument: „Warum sollte ich für ein Ereignis trainieren, das nur einmal im Jahr eintritt?“ (damit sind zum Beispiel Impfungen gemeint). Viele Tierbesitzer sind der Meinung, dass ihr Tier da eben einmal im Jahr durch muss und da es ansonsten ein tolles Leben hat, verkraftet es dieses Ereignis auch gut. Das war auch meine Einstellung viele Jahre lang. Und wenn man die Formulierung umdreht, dann bin ich noch immer dieser Meinung: je optimaler das restliche Leben des Tieres gestaltet ist, desto besser kommt es auch mit einmaligen, unangenehmen Erlebnissen zurecht.
Aber genau hier leistet Medical Training einen ganz wichtigen Beitrag: es hilft, die Anzahl der unangenehmen Ereignisse zu reduzieren! Denn wenn wir ehrlich sind: es geht nicht nur um die eine Impfung im Jahr. In so einem Pferdeleben gibt es zahlreiche reguläre medizinische Ereignisse, die die meisten Pferde nicht gerade toll finden. Impfungen, Zahnpflege, Wurmkuren, Blutbilder uvm. – und dazu kommen noch die irregulären Ereignisse: kleine Verletzungen, Medikamentengabe, Hufprozeduren. In Summe kommt es daher doch nicht so selten vor, dass wir unserem Pferd eine unangenehme und möglicherweise schmerzhafte Situation zumuten müssen.
Und hier kommt die gute Nachricht: du musst nicht jedes dieser Ereignisse gleichermaßen trainieren. Sobald du mit Medical Training an einem Thema arbeitest, wirst du merken, dass sich andere Themen bereits viel leichter und stressfreier abwickeln lassen. Denn Medical Training ist ein Konzept, das Tiere verstehen lernen. Damit hast du auch die beste Vorsorge für ungeplante Ereignisse: Notfälle. Je besser du dein Pferd auf verschiedene Situationen vorbereitet hast, desto unkomplizierter werdet ihr solche Phasen überstehen. 💪
Darum solltest du Medical Training anwenden
Du reduzierst mit Medical Training also aktiv den Stresslevel für dein Pferd in sehr vielen Situationen. Dadurch verbesserst du automatisch sein allgemeines Wohlbefinden. Und du erinnerst dich: je optimaler das tägliche Leben für dein Pferd ist, desto besser kommt es mit einmaligen unangenehmen Erlebnissen zurecht, beispielsweise einem medizinischen Notfall. Das Training zahlt sich daher doppelt aus!
Medical Training ist daher ein Muss, wenn dein Pferd bereits deutliches Unwohlsein bei einer medizinischen Behandlung zeigt. Das Spektrum geht dabei von defensivem Verhalten (Ausweichen, Losreißen, Abschalten = learned helplessness) bis aggressivem Verhalten (Beißen, Steigen, Treten).
Aber auch wenn dein Pferd keine so deutlichen Signale sendet, empfehle ich dir Medical Training. Denn viele Pferde lassen das medizinische Prozedere einfach über sich ergehen und zeigen nur subtile Anzeichen von Stress: versteifte Körperhaltung, aufgerissene Augen, unruhiges Stehen. All das lässt sich einfach vermeiden!
Und selbst wenn dein Pferd bereits eine coole Socke ist und sich vom Tierarzt nicht aus der Ruhe bringen lässt, empfehle ich dir trotzdem Medical Training. 😉 Denn: irgendwann wird ein Notfall eintreten und du wirst über jeden Handgriff froh sein, den ihr bereits vorab geübt habt.
Zu guter Letzt wirkt sich das Training positiv auf eure Beziehung aus. Dein Pferd lernt, dass es mit dir kommunizieren kann und dass du es nicht überforderst. Das Vertrauen zu dir wird gestärkt. Und du lernst, dein Pferd besser zu lesen, seine Signale zu deuten und wie du Probleme über Konsens lösen kannst. Wie das geht? Mit Hilfe des Kooperationssignals.
Das Kooperationssignal
Ein Kooperationssignal (oder auch „start button behavior“ = „Start-Knopf-Verhalten“ genannt) ist ein Signal, das dein Tier dir gibt, wenn es bereit ist für die nachfolgende Aktion. Dein Tier signalisiert dir damit also aktiv seine Zustimmung für ein vorhersehbares Ereignis. Das klingt erst mal kompliziert, ist es aber nicht.
Ein Beispiel: dein Pferd benötigt eine Spritze
Variante 1: du hältst dein Pferd am Halfter fest (dein Pferd ahnt also schon: da kommt etwas Unangenehmes!), dein Tierarzt hält die Spritze hinter dem Rücken versteckt und streichelt dein Pferd noch beruhigend und *zack* ist die Nadel im Hals gelandet. Dein Pferd macht vor lauter Schreck einen Satz zur Seite und möchte sich nun – verständlicherweise – nicht mehr anfassen lassen. 😨
Variante 2: dein Pferd steht frei (es kann also jederzeit weg und fühlt sich daher sicherer), dein Tierarzt zeigt deinem Pferd die Spritze (es weiß also, dass da jetzt etwas Unangenehmes kommen wird) und gibt dir aktiv seine Zustimmung, dass es jetzt bereit dafür ist. Der Tierarzt kann in Ruhe die Spritze setzen und du belohnst dein Pferd überschwänglich für seine Tapferkeit. 🤩
Na, welche Variante ist dir lieber? Vielleicht denkst du dir jetzt: Variante 2 wird so nie stattfinden, warum sollte ein Tier seine Zustimmung zu einer unangenehmen Spritze geben?! Genau das ist der Clou an der Sache: einerseits belohnst du dein Pferd für seine Mitarbeit. Meistens mit Leckerlis. Aber das ist für schmerzhafte Prozeduren oftmals nicht ausreichend – wenn dein Pferd nicht gerade am Verhungern ist, wird es oftmals auf das Leckerli pfeifen, wenn es im Austausch Schmerzen zu erwarten hat.
Du brauchst daher einen besseren Motivator. Und hier ist er: Kontrolle.
Kontrolle ist Macht
Es klingt banal: Kontrolle ist Macht. Kontrolle ist das Gegenteil von Ohnmacht. Kontrolle über eine Situation zu haben, fühlt sich gut an. Wenn du die Kontrolle hast, kannst du die Situation bestimmen. Du kannst Einfluss nehmen auf das Verhalten anderer Personen. Dein Handeln hat Wirksamkeit. Du hast Selbstwirksamkeit. Und das fühlt sich mächtig gut an! 😎
Und genau so geht es deinem Pferd. Wirklich! Kontrolle über eine Situation zu haben, ist ein ganz ganz starker Motivator, auch für unsere vierbeinigen Freunde (und Vögel, Reptilien und Fische!). Tier sind dazu gewillt, einiges anderes (inklusive Futter und Wohlbefinden!) aufzugeben, wenn sie stattdessen die Kontrolle erlangen. Dabei geht es nicht um die Weltherrschaft: Tiere wollen nicht die Kontrolle über andere erlangen (im Gegensatz zu uns Menschen…), sondern sie wollen ihre Umwelt und die Einflüsse auf sich selbst kontrollieren können. Eigentlich verständlich, oder?
So funktioniert das Kooperationssignal
Darum geht es also beim Kooperationssignal: wir geben dem Tier damit die Kontrolle über die Situation. Damit das funktioniert, musst du dich an eine einzige Regel halten: du versprichst deinem Pferd, dass du nur dann zum nächsten Schritt übergehst, wenn es seine Zustimmung dazu gibt. Mittels dem Kooperationssignal. Das heißt: du zeigst deinem Pferd, um was es geht (die Spritze, das Fieberthermometer, der Wasserschlauch – an was ihr eben gerade übt). Dieser Schritt ist wichtig: dein Pferd muss wissen, auf was es sich einlässt.
Wenn dein Pferd das Kooperationssignal (das „Start-Knopf-Verhalten“) zeigt, gehst du zur nächsten Aktion über (z. B. Anheben des Schweifs für die Fiebermessung). Wenn dein Pferd weiterhin über das Kooperationssignal seine Zustimmung gibt, kannst du weiter machen im Ablauf (z. B. mit dem Fieberthermometer den After berühren). Und natürlich: fleißig belohnen!
Aber Achtung: sobald dein Pferd das Kooperationssignal nicht mehr zeigt, gehst du nicht über zum nächsten Schritt! Das ist die Abmachung zwischen dir und deinem Pferd. Daran musst du dich uneingeschränkt halten – tust du es nicht (das heißt, wenn dein Pferd das Kooperationssignal nicht mehr zeigt und du trotzdem weiter machst), wirst du jegliches aufgebautes Vertrauen zerstören. Noch viel schlimmer: dein Pferd wird misstrauisch werden! Denn schließlich hast du dein Versprechen gebrochen – wie soll es sich da in Zukunft auf dich verlassen können?
Es ist also wirklich suuuuuper wichtig, dass du dich an diese einfache Regel hältst. Sei nicht enttäuscht, wenn dein Pferd am Anfang noch ein wenig Zeit braucht, um sich auf dieses neue Training einzustellen. Du wirst rasch feststellen: sobald dein Pferd merkt, dass es dein Verhalten beeinflussen kann (nämlich ob du weiter machst oder nicht), wird es das Training sehr reizvoll finden. Und gerne mitmachen. ☺
Wie sieht ein Kooperationssignal aus?
Mit dem Kooperationssignal stärkst du also die Selbstwirksamkeit deines Pferdes. Es kann dir damit die aktive Zustimmung zu einem Prozedere geben, anstatt diesen Ablauf bloß über sich ergehen zu lassen. Doch was genau kann nun als Kooperationssignal dienen, wie sieht dieses „Start-Knopf-Verhalten“ („start button behavior“) genau aus?
Ganz einfach: das ist dir überlassen. Ein Kooperationssignal kann ein einfaches „normales“ Verhalten sein (beispielsweise ruhig stehen) oder ein eigens trainiertes Verhalten (z. B. das Berühren eines Gegenstands mit der Nase). Es kann auch das aktive Initiieren einer Aktion sein: ich habe beispielsweise mit Nelly das Verabreichen von Augentropfen trainiert. Das Kooperationssignal dazu ist, dass sie sich aktiv mit ihrem Auge auf meine Hand zubewegt.
Wichtig ist, dass dein Pferd das Signal wirklich sicher kennt und eindeutig zeigen kann. Es darf kein Missverständnis geben, dass sein Verhalten als Einwilligung zu sehen ist. Bloßes Stillhalten ist hier oftmals zu wenig. Sehr gut geeignet sind hingegen Objekte, mit denen das Pferd eine dezidierte Interaktion ausführt.
Nina Steigerwald, eine der Koryphäen des deutschen Sprachraums auf dem Gebiet des Medical Trainings, hat dafür einen eigenen Begriff geprägt: den „Kooperator“. Mehr dazu erklärt sie dir in ihrem Blog-Artikel „Medical Training mit Hilfe eines Kooperators“.
Ersetzt das Kooperationssignal die Leckerlis?
Vorhin habe ich davon gesprochen, dass Kontrolle oftmals wichtiger ist als Futter und dass Leckerlis bei medizinischen Behandlungen oftmals nicht ausreichend sind für eine freiwillige Mitarbeit des Tiers. Das bedeutet aber nicht, dass du keine Leckerlis brauchst! Im Gegenteil: Training mittels positiver Verstärkung (also Belohnung des gewünschten Verhaltens) ist der Kern von Medical Training. Futter ist dabei – im Normalfall – die effizienteste Belohnung.
Das Kooperationssignal steht quasi am Anfang der Sequenz, das (Futter-)Lob am Ende. Es zahlt sich beim Medical Training auch aus, dass du deine verwendeten Leckerlis genau beleuchtest und eventuell modifizierst, indem du besonders tolle Leckerlis verwendest. Denn wenn am Ende quasi ein Schokokuchen wartet, dann wird das Fiebermessen davor als gar nicht so schlimm abgespeichert. 🎂
Aber Achtung: dein Pferd sollte auf gar keinen Fall hungrig sein oder sich aus anderen Gründen dazu genötigt fühlen, an der Prozedur teilzunehmen! Die Belohnung sollte aber gut genug sein, dass dein Pferd die (eigentlich unangenehme) Situation positiv abspeichert. Oder anders ausgedrückt: das Unangenehme vorher sollte so gering sein, dass das Leckerli nachher auf jeden Fall trotzdem als etwas tolles wahrgenommen wird.
Falls du Anregungen brauchst, was du als Futterlob einsetzen kannst, dann findest du dazu viele Beispiele in meinem großen Leckerli-Guide für Pferde.
So startest du erfolgreich mit Medical Training
So, nun weißt du bereits was Medical Training ist, was du damit trainieren kannst (und warum 😉) und wie eines der wichtigsten Prinzipien – das Kooperationssignal – funktioniert. Du bist also bereit loszulegen! Aber wie?
Es gibt ein paar Punkte, die dein Pferd schon beherrschen sollte, bevor ihr euch ans Medical Training wagt. Ich empfehle dir folgendes:
- Clicker-Training: dein Pferd sollte belohnungsbasiertes Training bereits kennen und ich empfehle in diesem Fall auch tatsächlich einen Clicker
- Futterlob: der Umgang mit Leckerlis sollte bereits entspannt funktionieren, denn Medical Training beruht auf Entspannung; alle Faktoren, die zusätzliche Anspannung oder Aufregung ins Training bringen, sind hier fehl am Platz (falls dein Pferdchen noch eher in die Kategorie „Futtermonster“ fällt, gebe ich dir in diesem Artikel einige Tipps, wie du entspannt mit Leckerlis trainieren kannst)
- Targets: es ist hilfreich, wenn dein Pferd bereits das Prinzip von Targets („Ziel-Objekten“) kennengelernt hat, beispielsweise das Berühren eines Gegenstands mit der Nase, einem Huf oder der Hüfte
Wenn du diese Punkte bereits locker abhaken kannst, sind dein Pferd und du bestens gerüstet für das Medical Training. Dazu beginnst du am besten auf neutralem Boden. Das heißt, in einer Umgebung und Situation, die dein Pferd noch nicht mit negativen Ereignissen oder medizinischen Behandlungen assoziiert hat. In einer Umgebung, in der sich dein Pferd frei bewegen kann. Beispielsweise am Reitplatz oder am Paddock, ohne Halfter o.ä..
Die grundlegende Basis: Stehen
Die Grundlage für jedes weitere Medical Training ist zugleich die vielleicht schwierigsten Übung: Stillhalten! Denn bei den allermeisten medizinischen Abläufen möchten wir gerne ein Pferd, das einfach ruhig steht. Egal ob beim Abhören, Abtasten, Verarzten oder Verabreichen von Medikationen: entspannt und ruhig Stehen während Dinge am Körper passieren, ist die wichtigste Basis für dein Pferd.
Genau das fällt aber vielen Pferden schwer, gerade wenn das bisherige Training auf Bewegung und Eigeninitiative ausgelegt war. Am einfachsten ist es für dein Pferd, wenn es lernt, ruhig an einem Target zu stehen. Oder gleich am Kooperator. 🤓
Du belohnst dein Pferd also einfach laufend dafür, dass es einfach steht. Von außen sieht es so aus, als ob du dein Pferd für nichts belohnst. Aber für das Bewegungstier Pferd ist ruhiges Stehen und dabei Stillhalten enorm schwierig! Unterschätze also nicht diese Übung und belohne sie ausgiebig. Wichtig ist, dass dein Pferd das Sillhalten wirklich selbstständig zeigt – also ohne angebunden oder sonst wie „behindert“ zu sein.
Wenn dein Pferd verstanden hat, dass es einfach ruhig stehen soll, kannst du die Anforderung langsam steigern und Ablenkungen hinzufügen. Beispielsweise indem du dich bewegst (z. B. um das Pferd herum), indem du Objekte schwingst, Geräusche machst oder dein Pferd berührst.
So kannst du dein Medical Training ausbauen
Wichtig ist, dass du deine Anforderungen nur so weit steigerst, wie dein Pferd trotzdem noch entspannt stehen kann. Sobald du merkst, dass dein Pferd sich verspannt oder nicht mehr still stehen möchte, bist du wahrscheinlich zu schnell vorgegangen.
Sobald das ruhige Stehen wirklich gut sitzt, kannst du mit dem eigentlichen Medical Training beginnen. Dabei solltest du mit Übungen starten, die für dein Pferd zwar ungewohnt, aber nicht schmerzhaft oder traumatisch assoziiert sind. Gut geeignet sind dafür z. B. Abtasten oder Fiebermessen. In diesem Zuge kannst du auch bereits das Kooperationssignal einsetzen.
Bevor du schließlich zu den anspruchsvolleren Übungen übergehst, sollten dein Pferd und du bereits eine solide Kommunikation etabliert haben. Dein Pferd sollte bereits wissen, wie es dir seine Bereitschaft mitteilen kann und wie es dir signalisiert, dass es noch nicht bereit ist für den nächsten Schritt. Wenn ihr so weit seid, dann könnt ihr auch zu den unangenehmen Inhalten übergehen, also negativ behafteten Inhalten (Nadeln, Wurmkuren, Wasser, Sprays etc.).
Der Feinschliff im Medical Training
Bei allen Übungen solltest du sowohl die Dauer als auch die Intensität (z. B. Druck auf Zahnfleisch) nur langsam erhöhen. Achte stets auf das Kooperationssignal, dann bist du auf der sicheren Seite.
Wenn das gut klappt, kannst du beginnen die einzelnen Übungen zu generalisieren. Das heißt: das Medical Training unter verschiedenen (möglichst realistischen) Bedingungen durchzuführen. Dazu gehören:
- andere Menschen
- Gerüche und Geräusche
- Gerätschaften
- Örtlichkeiten
- Limitierungen (z. B. Halfter)
Dabei kannst du deiner Kreativität freien Lauf lassen. Du musst nicht deinen echten Tierarzt mit seinen tatsächlichen Geräten bestellen, sondern du kannst mit deinen Freunden und beliebigen Objekten üben. Statt einem Stethoskop kannst du einen Joghurtbecher verwenden, statt einer Spritze eine Zeckenzange, statt einem Hufverband eine normale Bandage und ein Plastiksackerl. 👻
Wichtig ist, dass du Gerüche (z. B. Desinfektionsmittel), Geräusche (Klappern, Rascheln etc.) und Abläufe bzw. Handgriffe möglichst realistisch durchspielst. Versuche dabei eine möglichst große Bandbreite abzudecken: damit bist du auf möglichst viele verschiedene Situationen vorbereitet.
Was, wenn eine bestimmte Behandlung sofort nötig ist?
Ein Notfall kann jederzeit passieren. Es kann immer eine Situation eintreten, für die du nicht trainiert hast. Wenn du also einen akuten Vorfall hast und ein bestimmtes Prozedere jetzt sofort passieren muss (z. B. Wundversorgung), dann musst du abwägen: ist dein Pferd darauf vorbereitet, so dass du es nach seiner Zustimmung fragen kannst und es „Ja“ sagen wird? Wenn die Antwort „Nein“ ist (du dir also nicht sicher bist, dass dein Pferd das Kooperationssignal zeigen und freiwillig mitmachen wird), dann gibt es nur einen Weg: frage dein Pferd nicht nach seiner Zustimmung. Frage es nicht um das Kooperationssignal.
Der Grund ist einfach: in einem akuten Notfall kannst du ein „Nein“ deines Pferdes nicht akzeptieren. Es muss jetzt einfach sein. Wenn du dein Pferd also nach seiner Zustimmung fragst und es tatsächlich „Nein“ sagt, dann musst du entgegen seiner Antwort handeln. Und damit missbrauchst du sein Vertrauen, denn dein Pferd hat ja eigentlich gelernt, dass du auf sein Kooperationssignal wartest, wenn es gefragt wird.
Es ist in diesem (Not-)Fall daher die bessere Variante, dass du dein Pferd erst gar nicht nach seiner Kooperation fragts. Je besser du aber vorab verschiedene Situationen geübt hast, desto weniger Stress wird die Situation bei deinem Pferd verursachen. Das heißt: auch wenn dein Pferd in dieser Notfall-Situation keine Kontrolle hat, wird es mehr Vertrauen zu dir haben und weniger gestresst sein, also wenn du gar nicht trainiert hättest.
Das ist übrigens ein weiterer Grund, warum du auf jeden Fall Medical Training mit deinem Pferd machen solltest. Und zwar besser heute als morgen. Denn wenn morgen ein Unfall passiert, dann wirst du über jede Trainingseinheit froh sein, die ihr zuvor durchlebt habt.
Diese Themen kannst du mit deinem Pferd üben
Zu guter Letzt möchte ich dir noch ein paar Inspirationen mitgeben, die du mit deinem Pferd trainieren kannst. Einige Ideen habe ich bereits im restlichen Artikel erwähnt, aber hier möchte ich dir eine übersichtliche Liste anbieten:
- PAT-Werte kontrollieren (Puls – Atmung – Temperatur)
- Zahnfleisch und Schneidezähne kontrollieren bzw. „Maulgriff“
- Augen kontrollieren (Lider öffnen, Verabreichung von Tropfen)
- Körper abtasten (Beine, Bauch/Schlauch/Euter, Kopf/Ohren, Schweifrübe)
- Verband anlegen (an unterschiedlichen Körperteilen)
- „Wasserspiele“ (Abwaschen an unterschiedlichen Körperstellen, Füße in Wasserkübel stellen)
- Spritzen/Nadeln setzen (bitte nur simulieren, z. B. mittels Zeckenzange!)
- Hufe bearbeiten
- Sprays/Sprühflaschen (siehe auch: So gewöhnst du dein Pferd an (Fliegen-)Spray)
- Medikamente oral verabreichen (Wurmpasten, Tabletten)
- Schermaschine, rasieren von kleinen Stellen
So, ich hoffe damit hast du nun einige Ideen, was du mit deinem Pferd üben kannst! 🤩 An dieser Stelle möchte ich auch noch erwähnen, dass das gleiche wie bei jedem anderen Training auch gilt: wenn du nicht mehr weiter weißt, such‘ dir Hilfe. Wenn dein Pferd eine schlimme Phobie oder ein Trauma hat, dann hole dir professionelle Unterstützung, damit die Situation keinesfalls eskaliert.
Medical Training soll dein Pferd aufbauen und seine Selbstwirksamkeit stärken. Wenn du das Gefühl hast, dass es das nicht tut, dann solltest du das Training überdenken und dir lieber einen Blick und Rat von außen dazu holen. Damit in Zukunft medizinische Prozeduren wirklich entspannt ablaufen. 🤗